Von "Wirkfaktoren in der Psychotherapie"

 

Bereits im vorherigen Block habe ich mich auf das Anfang dieses Jahres erschienene Psychologie Heute compakt Heft 21 mit dem Titel: "Hilfe für die Seele -Was Psychotherapie leisten kann" bezogen. In diesem Heft befinden sich jedoch noch eine ganze Reihe weiterer äußerst lesenswerter Beiträge. Daher werde ich auch heute einen weiteren Artikel aus diesem Heft zum Thema nehmen. Hierbei handelt es sich um den Beitrag von Jochen Paulus mit dem Titel: "Welche Therapie ist gut für mich."

 

Beim Lesen des Beitrags von Jochen Paulus ist mir besonders seine sehr prägnante Darstellung von vier Wirkfaktoren von Psychotherapie in Erinnerung geblieben, die der unlängst verstorbene Psychotherapieforscher Klaus Grawe in seinem Konzept einer integrativen Psychotherapie spezifiziert hat. Der Einfachheit halber übernehme ich im Folgenden die Darstellung dieser vier nach Grawe für eine erfolgreiche Therapie entscheidenden Wirkfaktoren als Zitat aus dem Artikel von Paulus:

"… Grawe wollte wissen, warum viele verschiedene Psychotherapieformen wirken, obwohl sie auf den ersten Blick ganz unterschiedlich aussehen. Er wertete Tausende von Therapiestudien aus, in denen es um die Frage ging, was eine Therapie wirksam macht. Er kam zum Schluss, dass vier verschiedene Wirkfaktoren entscheidend sind.“

 

Den ersten Wirkfaktor nennt Grawe Ressourcenaktivierung. Dabei geht es darum, die Möglichkeiten und Stärken zu nutzen, die der Patient mitbringt. Ressourcenaktivierung ist ein therapeutisches Vorgehen, das etwa in der systemischen Therapie betont wird. Ressourcen können vieles sein, zum Beispiel Fähigkeiten des Patienten. Wenn ein Patient seinen Verstand gut einsetzen kann, sollte der Therapeut dies nutzen. Nach Grawe wäre es eine Verschwendung dieser Ressource, wenn der Therapeut entscheiden würde: „Das ist ein zu rationaler Mensch, den muss ich seinen Gefühlen näherbringen, der muss eine Therapie aus dem Bauch heraus haben." Ressourcen können aber auch hilfsbereite Verwandte und Freunde sein.

 

Grawes zweiter wichtiger Wirkfaktor ist die Problem­aktualisierung. Ein Patient muss seine Probleme in der The­rapie erleben. Es reicht nicht, nur darüber zu reden. Da­rum führen Verhaltenstherapeuten Höhenphobiker auf Türme und setzen Flugängstliche in Jets. In der Therapie einer chronischen Schmerzsymptomatik helfen z.B. … Achtsamkeitsübungen, die Schmerzen differenzierter wahrzunehmen, um gezielt da­ran arbeiten zu können.

Zusammen mit den Entspannungstechniken realisieren Schmerzpatienten … auch den dritten von Grawes Wirkfaktoren - die aktive Hilfe zur Problembewältigung. Der Therapeut soll dem Patienten helfen, über ein Problem hinwegzukommen, verlangt Grawe. „Dass er also nicht hinter dem Problem irgendwelche ganz anderen, geheimen Bedeutungen sieht, sondern das Problem nimmt, wie es ist, als eine Schwierig­keit, als ein Nicht-anders-Können."

Auch dies ist traditionell eine Stärke der Verhaltensthe­rapie.

 

Grawes letzter Faktor wird dagegen eher in anderen Therapieschulen betont, etwa der Psychoanalyse. Grawe nennt ihn Klärung. Hier geht es um die Frage, woher die Probleme kommen. Vielen Patienten ist dies sehr wichtig.

Welche Wünsche oder Ängste stehen dahinter? „Durch diesen Klärungsprozess werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Patient in Zukunft sein Leben anders gestalten kann", lehrte Grawe.

Klaus Grawe trat dafür ein, die klassischen Therapieschulen aufzugeben und sich stattdessen an den Faktoren zu orientieren, die für die heilende Wirkung der unterschiedlichen Therapien verantwortlich sind. Aus welcher Therapieschule die Methoden stammen, mit denen diese Faktoren verwirklicht werden, soll dabei keine Rolle spielen. (Paulus, 2009, S9-10).

 

Nach dem zweiten Lesen des Artikels bin ich mir nicht mehr so sicher, was den beim ersten Lesen entstandenen Eindruck angeht, dass bei der Aufzählung der Wirkfaktoren auch die Abfolge ihres Einsatzes in der Psychotherapie impliziert ist. Aber ungeachtet dessen, ob Grawe tatsächlich in der Abfolge in die er die Wirkfaktoren aufzählt auch eine Reihenfolge ihres Einsatzes meint, finde ich es durchaus lohnenswert, diesen Gedanken erst einmal ernst zu nehmen und die Psychotherapie mit einem Patienten tatsächlich damit zu beginnen, dass man sich erst dessen Ressourcen widmet, sie im explorativen Gespräch mit ihm sammelt und würdigt und erst dann, ausgestattet mit diesen Werkzeugen und Schutzschildern, sich emotional möglichst intensiv in die psychische Aura des Problems zu begeben. Wenn auf diese Weise eine für die Modifikation von kortikalen Bahnen günstige neuronale Plastizität sichergestellt worden ist, besteht dann der dritte Schritt darin, gemeinsamen mit dem Patienten Lösungen für sein Problem zu entwickeln. Dies sollte am besten mit Hilfe der Methode des Sokratischen Dialogs nach Albert Ellis geschehen , um auf diese Weise beim Patienten neue Denk-und Verhaltensmuster zu etablieren, die er auch bereit ist,für sich anzunehmen. Erst wenn dieses Erkennen und Lösen der akuten Problematik in ausreichendem Maße geschehen ist, sollte man sich in der psychotherapeutischen Arbeit daran machen, ein Stück weit analytisch die Wurzeln der Probleme des Patienten zu explorieren, um bei ihm auf diese Weise, im Sinne einer Rückfallprophylaxe, eine erhöhte Achtsamkeit für psychologische Fallstricke zu schaffen, auf die er in Zukunft sein Augenmerk richten sollte, um nicht wieder in pathologische Denk- und Handlungsmuster zu verfallen.

 

Ich finde, dass die beschriebene Abfolge der vier Handlungsschritte/Wirkfaktoren in ihrer Logik bestechend ist und werde in Zukunft in meiner therapeutischen Arbeit bewusst diese Gliederung anwenden, um so zu erleben, ob die wissenschaftliche Herangehensweise an Psychotherapie in der Lage ist, die Praxis zu inspirieren und zu befruchten, was natürlich wünschenswert wäre.

 

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